Machtverhältnisse in der Geräuschelandschaft von Graz in Zeiten von Covid-19
„Nun ist der Augenblick, da die Stille, der Staub, die Sonne und die Pest sich auf der Straße begegnen.“ (Camus 1974, S. 95)
Dieses Zitat aus „Die Pest“ erfasst zwar „nur“ einen Ausschnitt der Zeit in der pestgeplagten Stadt Oran im Ausnahmezustand, aber doch ist dieser mehr als nur ein gefrorener Augenblick, beinhaltet er doch eine aktive, länger andauernde Handlung, eine Begegnung, welche sich nur in einer dynamischen Zeit- und Raumauffassung und -wahrnehmung abbilden lässt. An erster Stelle steht beziehungsweise klingt in dieser Begegnung die Stille, die Abwesenheit von Geräuschen, welche die Straße, einen Raum kollektiven und öffentlichen Geschehens, prägt. Klang und Geräusche, welche unweigerlich durch Existenz und Handlung entstehen, geben ein Echo der gesellschaftlichen Organisation wieder und beeinflussen als solches auch die soziale Struktur in einer Wechselwirkung (Kytö,Özgün 2016, S.78). Demnach kann Geräusch(-Produktion) als eine Form der Macht-Demonstration oder gar als Instrument der Machtausübung aufgefasst werden. (Wer oder was wird wie gehört?) Aus diesen Überlegungen ergibt sich für mich die Frage: Wie werden Machtverhältnisse in öffentlichen (Klang-) Räumen in Graz in den Ausnahmezuständen Covid-19 auditiv wahr-genommen und akustisch wahr-gemacht?
Warum Ausnahmezustände im Plural? Weil sowohl der formelle als auch der informelle „Ausnahmezustand“ räumlich und zeitlich nicht nur akustisch, sondern in vielerlei Hinsicht einem steten Wandel unterliegt, es gibt also nicht „den Ausnahmezustand“, sondern eine Vielfalt davon.
Um Geräusche und die darin verhafteten Machtverhältnisse, Relationalitäten und sozialräumlichen Strukturen zu dokumentieren und festzuhalten, wird im Rahmen dieses Forschungsprojektes die Methode des „Soundwalks“ (oder des „akustischen Spaziergangs“) angewandt, mit welcher der akustische Raum als Raum der Beziehungen festgehalten wird (Espejo 2014, S.91). Dabei soll aber keinesfalls die Subjektivität der gewählten Methode vergessen werden: Akustische Kommunikation, Geräusche, Wahrnehmung, Umgebung und vor allem die zuhörende Person sind nicht als isolierte Entitäten zu betrachten sondern als ein Ganzes, das die Erfahrung stark individuell und situationsabhängig beeinflusst (Järvilmuoma, Wagstaff 2002, S. 12). Die Ergebnisse werden in Form von Audiodateien präsentiert und mit schriftlichen Ergänzungen versehen.
Zwischen Anfang April und Mitte Mai wurden unterschiedliche Soundscapes an verschiedenen öffentlichen Orten aufgenommen: Die Erhebungen zeigen die Vielfältigkeit von Klangräumen und deren rasche Veränderungen. Im Rahmen dieses Blogs werden verschiedene Auswertungsmethoden und Herangehensweisen an das Thema versucht. Alle Leser*innen sind außerdem herzlich eingeladen, auch zu /Zu- Hörer*innen zu werden, und dem folgenden Link zur ersten Audiodatei zu folgen.
https://www.dropbox.com/sh/86sdbvh224f066s/AAA8FEulDbbQaf1aV-tTj8ZAa?dl=0
Diese erste Soundscape ist eine fünfminütige Audiosequenz, aufgenommen Mitte April, die Einblick (beziehungsweise ein Rein-Hören) in die Geräuschkulisse der Grazer Innenstadt gibt. Klangvoll führt dieser Spaziergang über den Hauptplatz und durch die Herrengasse in Richtung Jakominiplatz. Besondere Aufmerksamkeit darf in Bezug auf Machtverhältnisse dem Ausschnitt bei der Hälfte der Soundscape zukommen: Ein Polizeiauto fährt langsam durch die Herrengasse, Gespräche verstummen, zu hören ist nur das Motorengeräusch des Fahrzeuges. Während den Ausnahmezuständen Covid-19 erreichte die Polizeipräsenz einen historischen Höhepunkt (Der Grazer, 2020). Hier möchte kurz auf das Konzept der „Police as Amplifiers“ eingegangen werden, welches die Exekutive als „Verstärker“ versteht, in dem Sinne, dass sie die Macht eines Signales erhöhen, während zugleich „störende Geräusche des Systems“ ausgeblendet werden (Middlebrook 2014, S.541). Im Kontext dieses akustischen Beispiels bedeutet das, dass die bloße (auditive) Präsenz der Polizei, indirekt das kontrollierende Signal der Corona-Maßnahmen und des Ausahmezustandes kommuniziert und alleine dieses Vorhanden-Sein sich auf das (Gesprächs-) Verhalten der Personen im Raum auswirkt und Stimmen verstummen lässt.
Literatur und Quellenhinweise:
Camus, A. (1974): Die Pest. Dresden: Reclam.
Der Grazer (2020): Starke Polizei. Titelblatt Printausgabe 19.04.2020.
Espejo, J. (2014): (City)-Noise. A Project about Noise, Urbanism and Politics. In: Castro, R. (eds.): Invisible Places Sounding Cities. Sound, Urbanism and Sense of Place. Viseau: Jardins Efémeros, S. 81-91.
Järvilmuoa, H.; Wagstaff, G. (2002): Introduction. In: Järvilmuoa, H.; Wagstaff, G. (eds.): Soundscape studies and methods. Helsinki: FSE, S. 9-25.
Kytö, M.; Özgün, S. (2016): Sonic resistance. Gezi Park protests and the political Soundscape of Istanbul. In: Fischer, M.; Grosch, N. (eds.): Unsichtbare Landschaften: Populäre Musik und Räumlichkeit. Münster, New York: Waxmann, S. 75-95.
Middlebrook, J.(2014): „The Police as Amplifiers”: Noise, the State and Policing the Crisis. In: Castro, R.(2014): Invisible Places Sounding Cities. Sound, Urbanism and Sense of Place. Viseau: Jardins Efémeros, S. 540-548.
Foto: Eigene Quelle und Bearbeitung
Audiodatei: Eigene Aufnahme und Bearbeitung
von Hannah Zauner
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