Wie verändert sich das Bewegungsprofil von Studierenden der Stadt Graz während einer globalen Pandemie?

Die Bewegungsprofile der Grazer Studierenden haben sich unter der Quarantäne stark verändert. Dies war zu erwarten, jedoch kaum in diesem Ausmaß. Die Wege der Studierenden wurden durch die Quarantäne-Maßnahmen zwar stark eingeschränkt, wiesen jedoch auch spannende neue Merkmale in Bezug auf Weglänge und Wegzweck auf. In den folgenden Absätzen werden Beispiele hierzu analysiert und diskutiert. 

Gesamt wurden im Rahmen dieser Arbeit 11 Studierende gebeten, ihre Wege unter und vor bzw. nach der Quarantäne auf einer Karte festzuhalten. Die Studierenden haben sich hierbei verschiedene allgemein zugängliche Open Source Maps ausgesucht und mit Bildbearbeitungsprogrammen Linien eingezeichnet.
Als Zeitrahmen für die Kartenanfertigung wurde eine Woche gewählt, die Studierenden haben die Wege teils aus dem Gedächtnis eingezeichnet und teils ihr Wegetagebuch unter der Woche mitgeschrieben.
Um die Karten anschaulicher zu gestalten und Unterschiede schneller hervorzuheben wurden für bestimmte Arten von Wegen unterschiedliche Farben genutzt. Rote Strecken zählen als essentielle Wege wie Lebensmittel einkaufen, Pflege oder Arztbesuche. Grüne Strecken repräsentieren zwecklose Strecken, etwa Spazierengehen, Laufen oder Radfahren. Blaue Strecken stehen für alle Wege zu Arbeitsplatz oder Ausbildungsstätte. Soziale Wege, wie um Freunde zu treffen, werden in Rosa markiert.



Hier ist ein Beispiel eines Studierenden zu sehen. Die obige Karte zeigt die Wege, die in einer Woche vor der Quarantäne zurückgelegt wurden, aus dem Gedächtnis gezeichnet. Die untere Karte zeigt eine Woche unter der Quarantäne, als Wegtagebuch mitgeschrieben. Zur Auswertung aller Karten wurden die jeweiligen Abbildungen nebeneinandergestellt und erste markante Details notiert. Hierbei fielen in jedem Falls die zurückgegangen bzw. verschwundenen blauen Strecken zu Ausbildungs- oder Arbeitsort auf. In einem einzigen Fall blieben die Strecken ähnlich, hierbei handelt es sich um einen Studierenden, der zweimal die Woche in einem Supermarkt arbeitet.
Die Karten wurden im Nachhinein genauer betrachtet und ein Veränderungsgrad festgestellt. Hierbei wurde zwischen "Kaum/keine Veränderung", "Mäßige Veränderung" und "Starke Veränderung" unterschieden. Acht der elf Kartenpaare wiesen eine starke Veränderung auf, zwei änderten sich mäßig und nur ein Kartenpaar wies kaum Veränderung auf. Hier fiel lediglich die kurze Strecke zur Universität sowie ein Teil der Wege für soziale Kontakte weg. Diese verlagerten sich unter der Quarantäne nämlich von Privatwohnungen an öffentliche Orte wie z.B. den Grazer Stadtpark.
Sechs der elf Kartenpaare deuteten ebenso darauf hin, dass die Lebensmitteleinkäufe in Quarantänezeiten in anderen, oft weiter entfernten Supermärkten getätigt wurden. Dies war ein überraschendes Ergebnis, ein Grund dafür könnte die Meidung von größeren Menschenmassen oder der Versuch, Abwechslung in den Alltag zu bringen, verantworlich sein. Ebenso ist hier miteinzubeziehen, dass viele wichtige Lebensmittel und Haushaltsartikel während dem Corona-Hoch oft ausverkauft waren und der Einkauf in kleineren, oft in der Innenstadt gelegenen Geschäften daher oft erschwert wurde. Auch auf dem obigen Beispiel ist klar zu sehen, dass sich die essentiellen Wegstrecken stark ausbreiten. Der Student gab an, dass er während der Quarantäne größere Einkäufe oft mit dem Auto und weiter entfernt von zu Hause tätige.
Auch die sozialen Strecken (rosa), Wege die mit oder zu Freund*innen zurückgelegt wurden, sind merkbar zurückgegangen. Dies war aufgrund der neuen Social-Distancing-Regeln natürlich zu erwarten, unerwartet war jedoch, dass sechs von elf Studierenden weiterhin viele soziale Wege zurücklegten. Diese wurden in allen Fällen hauptsächlich zu und in öffentlichen Grünanlagen wie dem Stadtpark, dem Augarten, Rosenhain oder Leechwald zurückgelegt. Die sozialen Wege wurden bei diesen Studierenden zwar nicht weniger, verlagerten sich jedoch ins Freie. Hier ist anzunehmen, dass viel gemeinsam Spazieren gegangen oder Sport getrieben wurde. Durch die Innenstadt, wie außerhalb der Quarantäne oft angegeben, verliefen während der Quarantäne keine Wege.

Hat sich bei Studierenden die Wohnsituation durch Corona verändert, so ist generell auffällig wenig Bewegung wahrzunehmen. Sind die Studierenden zu ihren Eltern gezogen, so scheinen sie vermehrt zu Hause zu bleiben und kaum bis keine essentiellen und sozialen Wege zurückzulegen, während Studierende, deren Mitbewohner auszogen und die während der Quarantäne weniger oder gar alleine in der Wohnung waren, vermehrt soziale Wege sowie längere essentielle Wege zurücklegten.
Die grünen, nicht essentiellen Wege, die alleiniges Spazieren, Laufen oder Radfahren repräsentieren sind unter der Quarantäne häufiger und ausgebreiteter zu sehen. Im gezeigten Beispiel ist im Normalzustand kein essentieller Weg zu sehen, während in der Quarantänephase eine Spazierrunde eingezeichnet ist, die der Studierende jeden Tag zurücklegte. Dies wiederholt sich ebenso in einem anderen Beispiel.



In diesem Beispiel sind zwei Kartierungen einer Studierenden, deren Mitbewohner während der Quarantäne auszogen, zu sehen. Die obige Karte zeigt die Wege vor, die untere Karte die Wege während der Quarantäne. Es sticht sofort ins Auge, dass die blauen Wege zur Universität wegfallen. Dafür ist ein nicht essentieller, grüner Weg von der Wohnung in den Leechwald hinzugekommen. Die Studentin gab an, mehrmals die Woche den Leechwald aufzusuchen. Die essentiellen Wege verlagern sich ebenso von Geidorf nach Lend. Kennt man die Stadt Graz, so fällt auf, dass diese sich von einer Gegend, in der es hauptsähchlich kleine City-Supermärkte gibt, in Richtung der großen Discounter verlagern. Explizite Gründer hierfür wurden nicht genannt, es ist jedoch zu erwarten, dass diese sich ähnlich dem vorigen Beispiel verhalten. Die sozialen Wege schränken sich ein. Erstrecken sie sich zuvor über die Innenstadt, so ballen sie sich jetzt südlich des Wohnortes. Die Studentin erzählt hierzu, dass sie in der Nähe von Freund*innen wohnt und mit diesen täglich in ihrem Viertel spazieren geht. Sie merkt außerdem an, dass sie sich vermehrt aus nicht essentiellen Gründen im Freien aufhält und während der Quarantäne bereits einige neue Orte erkundet hat.

Gesamt legten die Studierenden 40 bis 50 Prozent weniger Gesamtstrecken zurück. Die Wege haben sich oft signifikant verkürzt, einzig nicht essentielle Wege haben stark zugenommen, sowohl quantitativ, als auch in der Länge der Wege. Die Studierenden suchen neue Orte auf, um sich zu entspannen und Zeit im Grünen zu verbringen. Auch die essentiellen Wege, meist zum Einkaufen, änderten sich stark. Es wurde oft anders, in anderen Geschäften sowie an anderen Orten, gekauft. Viele Studierende kauften während der Quarantäne auch für mehrere Haushalte ein. Am stärksten sind die Wege zur Universität und zu den Arbeitsplätzen zurückgegangen, was sich auf die Einführung der Kurzzeitarbeit und Schließung der Unis zurückführen lässt. Da dies jedoch erwartet wurde, wurde den blauen Wegen wenig Bedeutung zugesprochen. Um die Karten besser nachvollziehen zu können und mehr Hintergrundwissen zu erlangen, werden diese im folgenden Beitrag mit den Umfragen, die jede*r Studierende ausgefüllt hat, verglichen.


von Franziska Dienstl und Benjamin Signitzer

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