Machtverhältnisse in der Geräuschelandschaft von Graz in Zeiten von Covid-19
Im Forschungs- und Dokumentationsprozess
zur Geräuschelandschaft von Graz mit Aufnahmen während der Covid-19 bedingten
Einschränkungen und Maßnahmen wurden in den letzten beiden Posts zwei Arten der
Präsentation dieser Audioausschnitten des städtischen Raumes versucht und
anhand dieser die Themen der Machtausübung, Autorität, Grenzziehungen,
öffentlichem Raum und dessen Grenzen, etc. in den Fokus gerückt. Zusätzlich zu diesen
inhaltlichen Thematiken können aber auch Erkenntnisse aus der Methode und dem Forschungsprozess
selbst gewonnen werden.
Durch die Klangspaziergänge ist bewusster geworden, wie stark sub- und selektiv nicht nur der Akt des Aufnehmens, sondern auch des Zuhörens ist. Weil die Geräuschlandschaften höchst dynamisch und divers sind, ist die Wegwahl beim Spazieren oder der Aufnahmeort einer stationären Aufnahme maßgebend für die resultierende Soundscape. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese weniger valide oder aussagekräftig ist, sondern nur, dass sie einer von vielen möglichen Ausschnitten des auditiven Zeit-Raumes ist. Trotz Subjektivität und Selektivität ist diese Methode gut geeignet, um auditive Umfelder und die darin herrschenden klanglichen Strukturen akustisch herauszukristallisieren.
Im Laufe des Aufnahmen-Sammelns wurden Soundwalks und Aufnahmen an einem Ort durchgeführt, wobei sich im Nachhinein die aktiveren Soundwalks als besser geeignet für das Hören auf Relationalitäten etc. herausstellten. Da Soundscapes hoch dynamisch sind, lassen sich vor allem auch dynamische Aspekte wie Machtverhältnisse, Relationalitäten und Übergänge zwischen Räumen (Grenzziehungen) auch besser in einem räumlich-dynamischen Spaziergang „abbilden“.
Als zuhörende Person, vor allem als
Geräusche-dokumentierende Person, stellt sich auch die Frage der eigenen Rolle
im öffentlichen akustischen Raum. Intuitiv versucht man als Person, die den
Geräuschen der Stadt lauscht, selbst in den (akustischen) Hintergrund zu rücken,
um anderen Geräuschen Raum zu machen. Allein dieser Zugang zur akustischen
Erkundung ist auch schon eine Art Verzerrung, gestaltet man doch auch als
Individuum die Geräuschelandschaft mit. Außerdem entsteht mit der Dokumentation
der Akustik auch die Frage nach Datenschutz, vor allem, wenn im Vorbeigehen Ausschnitte
von privaten Gesprächen und Telefonaten aufgenommen werden. Hier wurde
entschieden, diese wesentlichen Elemente einer Geräuschelandschaft, falls sie
nicht schon im Dokumentationsprozess umgangen wurden, nicht zu veröffentlichen,
um die Privatsphäre von diesen unbekannten Personen zu wahren.
Auffallend ist auch, dass die
schriftliche Beschreibung von Erfahrungen tendenziell eher auf die visuelle
Ebene reduziert ist. In den Blogpost wurde bewusst darauf geachtet, auch diesen
Aspekt zu integrieren, indem manche Wörter bewusst in Anführungszeichen gesetzt
oder auf eine auditive Form abgeändert wurden. Somit wurde auch die
Beschreibung des Forschungsprozesses zu einem Experimentierfeld, das auch in
Bezug auf den rein linguistischen Aspekt die klangliche Komponente „sichtbarer“
machen wollte. Denn bekanntlich formt Sprache unsere Wahrnehmung – Geräusche,
Lärm, Klang sollte auch in unserer Kommunikation Raum geboten und geschaffen
werden.
Sich der Soundscape einer Umgebung
bewusster zu werden bedeutet gleichzeitig eine Wertschätzung der (Vielfalt von)
Geräuschen mitzubringen und mit offeneren Ohren zu spazieren, die eigenen
Erfahrungen auszuweiten und Neues zu hören. Nach den vielen Soundwalks ist die
klangliche Ebene der Stadt mit all ihren Dimensionen auch ohne Audiogerät viel
realer und „fühlbarer“. Schließen möchte ich dieses Forschungsprojekt mit der
erneuten Einladung, selbst und bewusst mit offenen Ohren (durch die Stadt) zu
spazieren und auch diesem oft vernachlässigten Sinn Raum zu geben und sich ein
individuelles Klangbild zu erschaffen und gestalten.
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